Aufmerksamkeit optimal regulieren.

Inhalt

Die optimale Regulation von Aufmerksamkeit und Konzentration ist in Tätigkeiten mit hohen Anforderungen an kognitive und sensomotorische Prozesse von grosser Bedeutung. Beispiele sind im Sport, Musik, Tanz und vielen anderen Aktivitäten zu finden.1 2 3

Dabei sind die kognitiven Anforderungen – und damit die Anforderungen an Wahrnehmung und Aufmerksamkeitsprozesse – in jeder Aktivität anders. Mit zunehmender Unkontrollierbarkeit der Situation, z.B. durch das Verhalten des Gegners im Sport, steigen die Anforderungen an eine optimale Regulation von Aufmerksamkeit und Konzentration 4.

Kognitive Anforderungen im Sport
Kognitive Anforderungen im Sport

Anforderungen an die Aufmerksamkeitsregulation können sich zusätzlich in Training und Wettkampf unterscheiden. Während beim Erlernen einer neuen Technik die Aufmerksamkeit über längere Zeit auf einem oder wenigen Punkten liegt, muss die Aufmerksamkeit in der unmittelbaren Wettkampfvorbereitung auf alle tätigkeitsrelevanten Punkte gerichtet werden 5. Vergleichbare Unterschiede gibt es zwischen dem Einüben einer neuen Choreografie und dem tatsächlichen Auftritt oder dem aufnehmen einzelner weniger Verse als «take» im Studio und dem Singen auf einem Konzert vor tausenden von Fans 6.

Aufmerksamkeit während einer Handlung.

Der Begriff Aufmerksamkeit bezieht sich auf die Auswahl tätigkeitsrelevanter Informationen zur bewussten Verarbeitung und Regulation von Denken und Handeln.

Dabei ist für ein anforderungsgerechtes Handeln wichtig, die Aufmerksamkeit und ihre unterschiedlichen Formen zu kennen 7 8. Die Anforderungen an die Aufmerksamkeit in der aktuellen Situation können erkannt und handlungsleitende Selbstinstruktionen für die nächste Aufgabe als Drehbuch oder Routine zum Konzentrieren entwickeln werden. Dabei werden unter anderem Techniken wie Slow-Paced Breathing (SPB), Zentrierung oder dynamisches Drücken der linken Hand mit einbezogen.

Aufmerksamkeit ist notwendig, um alle psychischen Komponenten – von der Wahrnehmung bis zur motorischen Ausführung – so auszurichten, dass die Handlungsziele möglichst kostengünstig erreicht werden.

Vorteile.

Negative Gedanken und Selbstgespräche werden unterdrückt, so dass Handlungen störungsfrei realisiert werden. Körperliche Auswirkungen wie z.B. zu hohe Muskelspannung, flacher Atem und abgehackte Bewegungen (ein Merkmal, das gut von aussen durch Trainer beobachtet werden kann) bleiben aus. Das gilt auch für emotionale Reaktionen wie Ärger, Frustration und Angst.

Prozesse der Wahrnehmung, Auswahl und Verarbeitung von Informationen, der Planung von Handlungen sowie dem Entscheiden und Problemlösen werden unter dem Begriff der Kognition zusammengefasst. Alle Prozesse können als «mentale Muskeln» aufgefasst werden und trainiert werden.

Aufmerksamkeit optimal ausrichten.

Bei der Ausführung sportlicher Handlungen stehen zunächst die Fragen im Mittelpunkt, woher die wahrgenommen Informationen stammen und wohin die Aufmerksamkeit ausgerichtet wird.

Situation aus der Trainingspraxis. Die Athletin hat Recht: Aufmerksamkeit benötigt ein Ziel, eine Richtung.
Situation aus der Trainingspraxis. Die Athletin hat Recht: Aufmerksamkeit benötigt ein Ziel, eine Richtung.

Es wird zwischen internalen und externalen Ausrichtung der Aufmerksamkeit unterschieden. 9

Bei externaler Ausrichtung ist unsere Wahrnehmung auf Reize ausserhalb des eigenen Körpers gerichtet. Die visuelle Wahrnehmung – das Sehen – ist meist im Mittelpunkt des Interesses, doch unsere anderen Sinne Hören, Tasten, Schmecken oder Riechen werden genauso reguliert. Unser Körper und unsere Psyche stellen auch Informationen von innen bereit. Für viele Handlungen sind z.B. die (Selbst-) Wahrnehmung von Körperbewegung durch Mechanorezeptoren und der Gleichgewichtssinn wichtig, aber auch von uns selbst erzeugte Vorstellungen, Bewertungen, Emotionen, Selbstgespräche etc. Das bewusste Wahrnehmen der inneren Signale setzt eine internale Ausrichtung der Aufmerksamkeit voraus.

Neben der Unterscheidung woher die Reize stammen kann zusätzlich zwischen einem eher weiten und einem eher engen Fokus unterschieden werden. Zur Veranschaulichung kann ein Vergleich mit einer Taschenlampe genutzt werden, bei der der Lichtkegel verstellbar ist. Der Lichtkegel kann auf einen konkreten Punkt (eng) fokussiert oder über einen weiten Bereich gestreut werden. Erfahrene Athleten:innen können dabei gut steuern, wie intensiv (weit oder eng) ihr Fokus ist und wohin sie gerichtet (external oder internal) ist.

Lernen was wichtig ist. Relevante und leistungsfördernde Sachverhalte.

Nur eine Dimension kann optimal für die aktuelle Handlung sein. Wer die nützlichen Dimension für bestimmte Handlungen kennt, kann die Aufmerksamkeit leistungsfördernd steuern.10 11 12

Wenn ein kleiner Fehler den Unterschied zwischen einer Medaille oder einer nicht so guten Platzierung im Wettkampf ausmacht – die Aufmerksamkeit optimal zu regulieren ist in vielen Sportarten entscheidend. Aufmerksamkeit ist die Fähigkeit, sich auf die nützliche Sachverhalte der aktuellen Handlung zu fokussieren.

Die Aufmerksamkeit während Tätigkeiten existiert in mehreren Dimensionen:

  • die Richtung, nach innen und aussen,
  • die Intensität oder Weite. Mit einem weiten Fokus können viele Sachverhalte auf einmal wahrgenommen werden, während ein enger, intensiver Fokus nur die Wahrnehmung einiger weniger Reize erlaubt.
4 Dimensionen der Aufmerksamkeit
4 Dimensionen der Aufmerksamkeit

External – weit

Einschätzen der Gesamtsituation vor oder während des Wettkampfes, die Reihenfolge im Wettkampf kennen, nach wem bin ich dran?

External – eng

Auf relevante Reize fokussieren, einen geplante Bewegung ausführen, auf die Realisierung einer spezifischen Technik konzentrieren.

Internal – weit

Generelle Gedanken analysieren, eine Handlungsstrategie für das Finale planen, Antwortmöglichkeiten für ein Interview durchdenken.

Internal – eng

Visualisieren eines Bewegung, einen “body scan” durchführen um z.B. Emotionen oder das Erregungsniveau z.B. mit Atemtechniken zu regulieren.

Übung

Die Form Aufmerksamkeit kann flexibel in allen Quadranten platziert werden. Normalerweise passiert dies eher unbewusst, doch Top-Athleten und Musiker können die Aufmerksamkeit für eine Handlung auch bewusst ausrichten. Um diese Fähigkeit im Wettkampf stabil abzurufen, dient die folgende Übung, bei der eine Landkarte für unterschiedliche Szenarien mit der nützlichsten Form der Aufmerksamkeit gezeichnet wird.1314

Ablauf

Suche für jede der Formen und Ausrichtungen der Aufmerksamkeit Beispiele für deine Sportart in bestimmten Spielsituationen. Achte darauf, wann welche Form und Richtung der Aufmerksamkeit für die Spielhandlung am zweckmässigsten ist. Trage deine Ergebnisse entsprechend in die Felder (auf der nächsten Seite) ein. Beschreibe kurz die Spielsituation und, wenn nötig, benenne deine Position (z.B. Aussenverteidigerin, Kreisläuferin, Blocker, Doppel im Tennis).

  1. Zeichne die vier Quadranten auf ein grosses Blatt Papier.
  2. Finde viele typische Situationen aus deiner Sportart und trage sie in den nützlichsten Quadranten ein. Beispiele sind Training, Wettkampf, das Erlernen neuer Bewegungsabläufe, Verhalten nach einem Fehler oder unterstützen eines Teammitglieds.
  3. Übe das Umschalten zwischen den Quadranten täglich, um es im Wettkampf stabil und sicher anzuwenden.

Bei der Erarbeitung können dir folgende Leitfragen helfen:

  • Worauf muss ich mich, wann konzentrieren?
  • Wann muss ich mich besonders konzentrieren?
  • Was kann mich in meiner Sportart ablenken?
  • Wer oder was könnte mich unterstützen?
  • Wie lange muss ich mich in bestimmten Situationen konzentrieren?
  • Ist bei verschiedenen Trainingsinhalten (z.B. Technik, Taktik) oder im Wettkampf etwas anders?
  • Ist auf immer der gleiche Fokus bzw. Form (eng/weit) nötig?
  • Kann ich zwischen den verschiedenen Formen und Ausrichtungen hin und her schalten?
  • Welche Formen und Ausrichtungen ist mein bevorzugter Stil?

Dauer

30 Minuten

Material

Papier und Bleistift

Referenzen

Cotterill, S. & Moran, A. P. (2017). Concentration and Optimal Performance Under Pressure (BPS Textbooks in Psychology). In S. Cotterill, G. Breslin & N. Weston (Hrsg.), Sport and Exercise Psychology: practitioner case studies (1. Auflage, S. 37–54). Hoboken: John Wiley & Sons, Inc.

Kratzer, H. (2000). Psychologische Inhalte der Unmittelbaren Wettkampfvorbereitung (UWV). Leistungssport, 30(3), 4.

Mayer, J. & Hermann, H.-D. (2015). Mentales Training: Grundlagen und Anwendung in Sport, Rehabilitation, Arbeit und Wirtschaft (3., korr. Aufl. 2015.). Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-46819-7

Neumaier, A. (1983). Beobachtungstrategien und Antizipation bei der Abwehr von Volleyballangriff. Leistungssport, 13(4), 5–10.

Nideffer, R. M. & Sharpe, R. C. (1978). A.C.T., attention control training : how to get control of your mind through total concentration. New York: Wyden.

Nordin-Bates, S. (2023). Essentials of dance psychology. Champaign, IL: Human Kinetics, Inc.

Schubert, F. & Schellenberger, H. (1987). Mittel und Methoden zur Herausbildung anforderungsgerechter psychischer Komponenten in den Spielsportarten. Theorie und Praxis des Leistungssports, 25(1), 81–90.

Spielberger, C. D. & Moran, A. P. (Hrsg.). (2012). Attention and Concentration Training in Sport. Encyclopedia of applied psychology (1st edition., S. 209–214). Amsterdam [Netherlands]: Elsevier / Academic Press.

Ward, P. & Williams, A. M. (2003). Perceptual and Cognitive Skill Development in Soccer: The Multidimensional Nature of Expert Performance. Journal of Sport and Exercise Psychology, 25(1), 93–111. https://doi.org/10.1123/jsep.25.1.93

Williams, A. M. (2003). Developing selection attention skill in fast ball sports. In I. Greenlees & A.P. Moran (Hrsg.), Concentration Skills Training in Sport (S. 20–32). Leicester: The British Psychological Society.

Fußnoten

  1. Spielberger & Moran (2012)
  2. Cotterill & Moran, (2017)
  3. Nideffer & Sharpe (1978)
  4. Mayer & Hermann (2015)
  5. Kratzer (2000)
  6. Nordin-Bates (2023)
  7. Williams (2003)
  8. Nideffer & Sharpe (1978)
  9. Nideffer & Sharpe (1978)
  10. Ward & Williams (2003)
  11. Neumaier (1983)
  12. Schubert & Schellenberger (1987)
  13. Williams (2003)
  14. Ward & Williams (2003)

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